Leistungsdruck auf Kinder – Wenn Leistung wichtiger wird als das Kind selbst
In unserer modernen Gesellschaft ist Leistungsdruck zu einem ständigen Begleiter geworden. Was früher vor allem im Berufsleben Thema war, beginnt heute oft schon im Kindergartenalter. Kinder erleben früh, dass ihre Leistungen bewertet werden – in der Schule, beim Sport, in Musikschulen und durch die allgegenwärtige Präsenz sozialer Medien.
Eltern wollen das Beste. Schulen geben ihr Bestes. Und doch zeigt sich: Der Druck auf Kinder nimmt zu. Immer häufiger berichten Eltern, Pädagog:innen und Berater:innen von Kindern, die erschöpft, überfordert oder orientierungslos wirken. Die kindliche Leichtigkeit wird durch Zielvorgaben, Bewertungen und Vergleiche verdrängt. Dabei verlieren wir aus dem Blick, was Kinder wirklich brauchen: Raum für Entwicklung, Zeit zum Spielen, Sicherheit im emotionalen Erleben und Erwachsene, die ihnen Halt geben – nicht nur Erwartungen.
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Dieser Beitrag beleuchtet die Ursachen des wachsenden Leistungsdrucks auf Kinder, seine Auswirkungen – und zeigt auf, wie wir als Gesellschaft, Familie und Schule gegensteuern können.
Was psychosoziale Beratung leisten kann – und warum sie in die Schule gehört
Elterliche Erwartungen
Viele Eltern möchten nur das Beste für ihre Kinder. Doch wenn Wünsche zu Erwartungen werden, steigt der Druck. Kinder spüren genau, was ihre Eltern von ihnen erwarten – und streben oft danach, Anerkennung und Liebe durch Leistung zu verdienen. Dahinter stecken häufig auch unerfüllte Träume oder Ängste der Erwachsenen. Diese werden – meist unbewusst – auf das Kind übertragen. Der ständige Wunsch, alles richtig zu machen, erzeugt bei vielen Kindern einen inneren Antreiber, der sie oft über ihre Grenzen gehen lässt.
Schulischer Leistungsdruck
Tests, Noten, Vergleichbarkeit – das Schulsystem ist auf Leistung ausgerichtet. Schon in jungen Jahren erleben Kinder, dass sie bewertet werden. Kreativität, individuelle Stärken und Lernfreude kommen dabei oft zu kurz. Stattdessen dominiert der ständige Vergleich mit anderen. Lehrpläne und Prüfungsformate fördern oft ein eindimensionales Verständnis von Intelligenz. So entsteht ein Umfeld, das eher auf Anpassung als auf Entfaltung ausgerichtet ist. Das setzt Kinder unter ständigen Druck – auch aus Angst vor dem Scheitern.
Gesellschaftliche Ideale
In Medien, Werbung und sozialen Netzwerken wird Erfolg gleichgesetzt mit Perfektion. Kinder und Jugendliche übernehmen diese Ideale – und haben das Gefühl, mithalten zu müssen. Eltern und Lehrer sind oft selbst Teil dieses Systems und geben den Druck unbewusst weiter. Likes, Follower und messbare Erfolge im Außen werden zum Maßstab für Anerkennung. So entsteht ein unsichtbarer Wettkampf um Sichtbarkeit, Anerkennung und Zugehörigkeit – der besonders junge Menschen emotional überfordert.

Auswirkungen auf die Gesundheit
Psychische Folgen
- Angststörungen, depressive Symptome, Schlafprobleme
- Rückzug und sozialer Vergleich
- Geringes Selbstwertgefühl und übersteigerter Perfektionismus
Viele Kinder entwickeln früh das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Der Druck, Erwartungen zu erfüllen, führt zu ständiger innerer Anspannung. Die Angst vor Fehlern hemmt Kreativität und das natürliche Lerninteresse.
Körperliche Symptome
- Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit
- Chronische Müdigkeit, Erschöpfung
- Verspannungen und psychosomatische Beschwerden
Stress schlägt sich im Körper nieder. Kinder, die dauerhaft unter Strom stehen, zeigen oft diffuse Symptome – ihre Körper schreien, wenn die Worte fehlen.
„Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, sondern wie wir sind."
- Anais Nin
Was Kinder jetzt brauchen: Orientierung, Sicherheit und echte Beziehung
Wenn Kinder unter Leistungsdruck stehen, hilft kein weiterer Stundenplan und kein zusätzlicher Förderkurs. Was sie jetzt brauchen, ist etwas ganz anderes – etwas, das man nicht messen, benoten oder in Tabellen festhalten kann: emotionale Sicherheit, echte Beziehung und liebevolle Begleitung.
Kinder brauchen Erwachsene, die zuhören statt nur zu bewerten. Sie brauchen Räume, in denen sie Fehler machen dürfen, ohne Angst zu haben, zu versagen. Und sie brauchen Vorbilder, die nicht perfekt sind, sondern authentisch – Erwachsene, die selbst gut mit Stress umgehen, achtsam mit sich sind und zeigen, dass der Wert eines Menschen nicht von Noten oder Leistung abhängt.
Was Kinder heute besonders stärkt:
- Vertrauen statt Kontrolle – das Gefühl, bedingungslos angenommen zu sein.
- Zeit statt Tempo – weniger Termine, mehr echte Verbindung.
- Anerkennung statt Bewertung – loben, was gelingt, nicht nur optimieren.
- Mut zur Lücke – Schwächen dürfen sein.
- Körperliche & mentale Balance – durch Bewegung, Spiel, Schlaf & Entspannung.
Um den Leistungsdruck auf Kinder zu reduzieren und ihre Gesundheit zu schützen, sind mehrere Ansätze notwendig:
Lebenskompetenz fördern
Kinder brauchen Werkzeuge, um mit Herausforderungen umzugehen. Programme zur Förderung von Resilienz und Stressbewältigung sollten fixer Bestandteil des Schulalltags werden.
Selbstwert statt Selbstoptimierung
Wahre Stärke entsteht nicht durch Perfektion, sondern durch Selbstakzeptanz. Kinder brauchen Räume, in denen sie Fehler machen und ihre Stärken entdecken dürfen – auch außerhalb der Schule.
Realistische Erwartungshaltung
Eltern spielen eine zentrale Rolle. Der Psychologe Martin Permantier betont, wie sehr Erwartungen das Verhalten und das Selbstbild prägen. Eine gesunde, motivierende Haltung stärkt Kinder – übermäßiger Druck hingegen blockiert.
Elterliche Erwartungshaltung als Schlüssel
Die Erwartungshaltung der Eltern spielt eine zentrale Rolle in der Persönlichkeitsentwicklung und im zwischenmenschlichen Erleben von Kindern. Der Psychologe und Pädagoge Martin Permantier hat hierzu intensiv geforscht. Er betont, dass sowohl die inneren Erwartungen als auch die von außen an uns herangetragenen Ansprüche unser Verhalten, unsere Selbstwahrnehmung und unser psychisches Wohlbefinden maßgeblich beeinflussen.
Insbesondere bei Kindern kann die elterliche Erwartung zum entscheidenden Faktor werden, wenn es um den Umgang mit Leistungsdruck geht. Die Art und Weise, wie Eltern an ihre Kinder herantreten – mit Vertrauen oder mit Druck –, prägt langfristig deren Selbstbild und Motivation. Permantiers Arbeiten zeigen: Kinder entwickeln ihr Selbstwertgefühl wesentlich im Spiegel der Erwartungen, die ihre engsten Bezugspersonen an sie stellen – seien es Eltern, Lehrer oder Freunde.
Realistische, fördende Erwartungen können Kinder stärken: Wenn Eltern an die Fähigkeiten ihrer Kinder glauben, fördert das Selbstbewusstsein, Lernfreude und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Diese Form von positiver Motivation kann Kinder dazu inspirieren, Herausforderungen anzunehmen und über sich hinauszuwachsen.
Gleichzeitig warnt Permantier vor zu hohen oder unklaren Erwartungen. Wenn Kinder das Gefühl haben, ständig leisten zu müssen, um geliebt oder anerkannt zu werden, entsteht emotionaler Stress, oft begleitet von Angst, Versagensgefühlen oder Selbstzweifeln. Die Folge: Der Leistungsdruck wird zur Belastung, und Lernen verliert seinen Sinn. Statt Neugier und Fortschritt erleben Kinder dann Rückzug, Blockaden und einen Verlust ihrer inneren Motivation.
Permantiers Ansatz macht deutlich: Erwartungen haben immer eine Wirkung – ob bewusst oder unbewusst. Sie formen nicht nur unsere eigene Haltung, sondern auch die Haltung derer, die uns nahestehen. Deshalb ist es gerade für Eltern wichtig, ihre Erwartungen bewusst zu reflektieren und Kindern sowohl Orientierung als auch Freiheit zur individuellen Entwicklung zu geben.

Fazit: Jetzt ist die Zeit zu handeln
Der Leistungsdruck auf Kinder ist real – aber wir können gegensteuern. Es braucht mutige Eltern, achtsame Pädagog:innen und eine Gesellschaft, die erkennt: Nicht das perfekte Kind zählt, sondern das glückliche, gesunde, resiliente Kind.
Durch offene Kommunikation, wertschätzende Beziehungen, Bewegungsangebote wie den Alphalauf und ein bewusster Umgang mit Stress können wir ein neues Miteinander schaffen. Eines, das Kinder nicht in Schablonen presst – sondern sie als das sieht, was sie sind: einzigartig, empfindsam, voller Potenzial.
Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf der Diplomarbeit von DI (FH) Volker Ehmann zum Thema „Leistungsdruck und seine Auswirkungen auf Kinder“ und auf praktischen Erfahrungen aus der psychosozialen Beratung und Alphalauf-Begleitung von Kindern, Eltern und Pädagog:innen.
Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf der Diplomarbeit von DI (FH) Volker Ehmann zum Thema „Leistungsdruck und seine Auswirkungen auf Kinder“ und auf praktischen Erfahrungen aus der psychosozialen Beratung und Alphalauf-Begleitung von Kindern, Eltern und Pädagog:innen.